Der Storkower Ortsteil Wochowsee wurde 1321, also genau vor 700 Jahren, gegründet. 60 Einwohner, verteilt auf eine Handvoll Häuser. Umrahmt von zahlreichen Seen wohnen die Wochowseer wie auf einer Halbinsel in einem Sackgassendorf. Zwar ist das Dörfchen keine sechs Kilometer von Storkow (Mark) entfernt. Und doch leben die Wochowseer abgeschieden vom Trubel. Von Marcel Gäding.
Kurz hinter der kleinen Storkower Vogelsang-Siedlung geht eine unscheinbare Straße ab. Links und rechts wird sie von großen, stattlichen Linden gesäumt. Auf den Wiesen grasen Rinder. Und es riecht nach Wasser, denn hier gehen der Schaplowsee, der Groß Schauener See und der Große Wochowsee quasi nahtlos ineinander über. Die Strecke scheint kein Ende zu nehmen, bis zuerst linkerseits das Vorwerk Wochowsee auftaucht und ein paar Kilometer weiter Doppelhaushälften und ein Ortseingangsschild zu sehen sind. Nun mündet die Straße in einem Rondell.
Wochowsee ist ein Sackgassendorf, irgendwie am Ende der Welt und doch mittendrin. „Wir haben hier keinen Durchgangsverkehr“, sagt Dirk Maier. In die Storkower Innenstadt sind es mit dem Fahrrad gerade einmal 20 Minuten, mit dem Auto geht es natürlich wesentlich schneller.
Dirk Maier ist der Ortsvorsteher von Wochowsee und eng mit dem Dorf verbunden. Seit mindestens vier Generationen lebt seine Familie auf einem der wenigen Höfe. Sein Großvater gründete einst die Feuerwehr, seine Mutter war lange Zeit Bürgermeisterin. Er bekleidet das Amt nun schon zum zweiten Mal und zeigt zunächst stolz das kleine Dorfgemeinschaftshaus. Das am 23. August 2003 eröffnete Gebäude befindet sich genau dort, wo lange der Rat der Gemeinde ansässig war. Zusammen mit dem nur 20 Meter entfernten Dorfplatz bildet es nicht nur geografisch, sondern auch gesellschaftlich den Mittelpunkt von Wochowsee. Dort gibt es einen kleinen Spielplatz, ein Kriegerdenkmal für die vier im Ersten Weltkrieg gefallenen Dorfbewohner und schattige Rastplätze für Fahrradtouristen. Um den kleinen Flecken reihen sich alte und neue Wohnhäuser sowie das Gut Wochowsee, das vor allem bei Reitern beliebt ist. Und dann ist da noch das Feuerwehrgerätehaus, das 2014 außer Dienst gestellt wurde. Im 80. Jahr nach Gründung der Freiwilligen Feuerwehr gab es schlichtweg nicht mehr genug Mitglieder, um die Wehr aufrecht zu erhalten. Schweren Herzens wurde die Freiwillige Feuerwehr Wochowsee schließlich geschlossen. Das Gebäude aber bekam eine zweite Chance als Treffpunkt für die Jugend: Mit Hilfe der städtischen Jugendkoordinatorin Sabine Schmelz konnte in der Fahrzeughalle eine Tischtennisplatte aufgestellt werden, die von den jungen Wochowseern rege genutzt wird. An die Feuerwehr erinnert dennoch viel: Links und rechts befinden sich noch die Kleiderhaken inklusive der Namensschilder der früheren Kameraden. Die Zeit überstanden hat zudem der letzte Terminplan für Ausbildungsdienste aus dem Jahr 2013. Er hängt an der Innenseite des Tores. Kürzlich wurde sogar ein kleiner Kasten installiert, der frei zugängliches Internet bietet. Die Wochowseer haben sich schon immer irgendwie mit der Zeit arrangiert. Das war so, als die geliebte Konsum-Verkaufsstelle mit der Wende schließen musste und dann auch noch die Buslinie ins Dorf ersatzlos gestrichen wurde.
Nun könnte man vermuten, dass die kleine, rund 60 Einwohner zählende Dorfgemeinschaft ein in sich geschlossener Kosmos ist. Doch das stimmt so ganz und gar nicht, wie Lutz Werner berichtet. Er wuchs in Karlslust auf, verbrachte einige Jahre in Berlin und siedelte sich 2005 mit seiner Frau auf dem alten Schulzenhof gleich neben dem Feuerwehrhaus an. Werner ist der Ortschronist von Wochowsee, denn er hat einen ganz besonderen Bezug zu Geschichte. Als Gästeführer schlüpft er regelmäßig in die Rolle des Alten Fritzen, als „Grüner Lutz“ bietet er Touren durch die wald- und seenreiche Umgebung an. „Wir wurden in Wochowsee mit offenen Armen empfangen“, sagt Werner. Natürlich seien die Wochowseer wie alle Brandenburger – „knorrig wie ein Kienappel, aber immer herzlich“. Überhaupt scheint in Wochowsee alles harmonisch. „Gibt es doch mal kleine Konflikte, wird hier mit offenen Karten und klaren Worten gespielt.“ Werner ist überglücklich, in Wochowsee heimisch geworden zu sein: „Wir wohnen im Paradies.“
Einmal im Monat treffen sich die Dorfbewohner sonntags um 10 Uhr auf dem Dorfplatz oder im Dorfgemeinschaftshaus. „Das war früher unser fester Termin für den monatlichen Ausbildungsdienst bei der Feuerwehr“, sagt Ortsvorsteher Dirk Maier. Je nach Wetterlage sitzen die Wochowseer entweder drinnen oder draußen zusammen. „Jeder bringt etwas mit“, erklärt Maier. Um 12 Uhr aber zieht es wieder alle nach Hause – zum Mittagessen.
Zwar gibt es anders als in anderen Storkower Ortsteilen keine Fastnacht. Und doch ist der Zusammenhalt groß. Neulich spendierte Lutz Werner einen Feldstein, der nun vor dem Gemeindehaus steht und auf dem ein Schild an 700 Jahre Wochowsee erinnert. Ortsvorsteher Maier kümmerte sich um die Inschrift, während andere Nachbarn mit schwerer Technik das gute Stück an seinen endgültigen Platz hievten.