Ganz Storkow ist eine Bühne

An diesem Abend ist kein Durchlass, zumindest nicht ohne Wegezoll: Ein Ritter hat sich vor dem Eingang der Burg postiert. Wer zahlt, darf passieren – und erlebt zwei Stunden lang das wohl ungewöhnlichste Theaterstück Brandenburgs. Einmal im Monat laden die Gefährten der Nacht zu einer einzigartigen Führung durch das kleine Städtchen ein.

Zu Beginn gibt es erst einmal etwas zum Aufwärmen: Kirschlikör für die Gäste, ein Bierchen für die kostümierten Darsteller. Gut 40 Leute stehen auf dem Hof der Burg Storkow, der vom Licht der Fackeln beleuchtet wird. Ein älterer Herr – er stellt sich als Kastellan der einst bischöflichen Residenz vor – erklärt kurz die Geschichte der Burg. Im Hintergrund bauen sich Mägde und Hofdamen mit Trommeln auf. Ihre Rhythmen dürfen wie der Gong in einem Theater verstanden werden: Es geht los…

Zwei Stunden Stadtgeschichte mit den Gefährten der Nacht

Zwei Stunden präsentieren die Gefährten der Nacht die Geschichte der Stadt, ihrer Burg und ganz nebenbei auch der Mark Brandenburg. Mit dem Nachtwächter voran – gespielt von Detlev Nutsch – geht es durch die kleinen Gassen, an denen sich die Darsteller aufbauen. An einer Station verfolgen die Zuschauer, wie ein verschlafener Barbier einem Storkower zu später Stunde den erkrankten Backenzahn zieht. An anderer Stelle werden sie Zeuge eines Mordes, der sich so auch im 19. Jahrhundert zugetragen hat. Wo einst das Stadttor stand, gibt es eine Erklärung zum Begriff „Torschlusspanik“: Wurde abends das Stadttor geschlossen, kam niemand mehr rein oder raus. Nur wer sich panisch beeilte, wusste dies zu verhindern… Die Zuhörer quittieren alle Szenen, wie es sich im Mittelalter anschickte: Statt eines Applauses gibt es „Jubel, Jubel, Jubel“-Rufe. Das hat ihnen zuvor der Nachtwächter so eingetrichtert.

Seit 2009 gibt es die Gefährten der Nacht. Gegründet wurde die Laienspielgruppe nach einem Festumzug anlässlich der 800-Jahr-Feier von Storkow. Der ohnehin sehr umtriebige Storkower Unternehmer Detlev Nutsch, der bereits als Nachtwächter Touren anbot, suchte Gefährten – und wurde fündig. Heute engagieren sich 39 Storkower in einem eigens gegründeten Verein. Das jüngste Mitglied ist drei Jahre alt, das älteste 78. „Nur drei von uns sind Rentner, alle anderen berufstätig“, sagt der Vereinsvorsitzende Eike Teichert stolz. Den Beruf des Schauspielers hat keiner erlernt. Unter den Darstellern sind Volkswirte, Polizisten oder Metallbauer. Einmal im Jahr organisieren die Gefährten einen Schauspielworkshop, bei dem sich die Mimen Anregungen und Tipps von Profis holen.

Auch im neunten Jahr ihres Bestehens ist den Gefährten die Lust und Freude am Spiel nicht vergangen. Die geschichtlichen Hintergründe recherchieren sie auf eigene Faust und verpacken sie in allerlei Anekdoten. Oft muss improvisiert werden – zuletzt bei der Aprilführung, als kurz nach Beginn der Führung ein schweres Gewitter über die Stadt zog und einen heftigen Starkregen auf das mittelalterliche Kopfsteinpflaster und auch auf die Zuhörer prasseln ließ.

Neben der Geschichte beeindruckt vor allem der Ort der Inszenierung. Die bis heute erhaltenen kleinen Altstadtgassen, gesäumt von Scheunen, Fachwerkhäusern und Klinkerbauten, bilden die perfekte Kulisse für das Straßentheater. Und es macht das ganze Projekt einzigartig. Im ganzen Land Brandenburg gibt es nichts Vergleichbares.

Marcel Gäding

Die nächsten Termine: 10. August (20.30 Uhr). Eintritt: 8 Euro, Kinder bis 12 Jahren 5 Euro. Treffpunkt: Burg Storkow, Schloßstraße 6, 15859 Storkow. Kartenvorbestellungen in der Tourist-Information unter Tel. 033678 73108. Weitere Informationen unter www.gefaehrten-der-nacht.de